Von der Angst ins Bewusstsein
Ich selbst kann mich nicht mehr daran erinnern, aber meine Eltern haben es mir immer wieder erzählt. Als sie das erste Mal mit mir auf einen Elbdampfer steigen wollten, hätte ich mich mit lautem Schreien dagegen gewehrt.
Warum dies so war?
Ich kann es mir heute gut erklären: Ich war ein kleiner Angsthase. Es hätte ja der Dampfkessel explodieren können, damals konnte ich auch noch nicht schwimmen und außerdem macht so ein Dampfschiff – aus Sicht eines Kleinkindes – merkwürdige Geräusche.
„Bloß gut, wenn man die Angst überwindet. Hinter ihr warten oft die Dinge, die wir lieben“,
habe ich erleichtert in meinem Kapitel „Wieder auf Kurs“ im Buch „Wozu ich geboren wurde“ geschrieben. Wer meine Passion für die Dampfer kennt, weiß, was ich meine.
Mit meiner Bindungsangst war es ähnlich. Lange Zeit hat sie mich gequält. Unbewusst natürlich. Heute bin ich glücklich verheiratet.
Nicht immer lässt es sich im Nachhinein so leicht darüber schmunzeln, wie ich es heute in Sachen Dampfer und Frauen tun kann. Manche Ängste sind durchaus sinnvoll. Die Frage ist nur:
In welchem Maße?
Wenn ich seit Monaten die Nachrichten rund um Corona verfolge, denke ich immer wieder daran, dass auch mich die Angst vor schweren Krankheiten über Jahre belastete. Blockaden im Kopf, hoher Blutdruck, ein geschwächtes Immunsystem und irgendwann die Angst vor der Angst: Aus einer begründeten Furcht kann sich eine Angsterkrankung entwickeln bis hin zu Herz-Kreislaufbeschwerden, Krebs oder anderen schweren Leiden.
Ich bin froh, mich rechtzeitig meinen Ängsten gestellt zu haben und dies funktionierte nicht über Fakten, gutes Zureden oder Zusammenreißen. Der Weg führt nur über das Bewusstsein, er kann lang sein und steinig.
Auch für mich. Gute Bücher, viel Zeit mit mir selbst – zum Beispiel auf Dampfschiffen –, aber auch inspirierende Gespräche mit Menschen, die heute meine Kollegen sind, waren Meilensteine auf meinem Weg.
Anders wäre ich auch nicht in meiner Selbstständigkeit in meiner Wahlheimat Dresden und einem neuen beruflichen Umfeld angekommen. Davor befand sich die Existenzangst. Etwas, was sich gerade in diesen Zeiten in extremer Weise in unserer Gesellschaft zeigt.
Meinen Mitmenschen in solchen Lebensphasen helfen zu können, es ist ein schönes Gefühl. Denn ich weiß, wie sich das anfühlt, lebe nicht allein von erlerntem Wissen.
Für unsere Welt ist diese Aufgabe unermesslich. Aber jeder einzelne Mensch ist es wert, ihn auf seinem Weg zu begleiten. Oder, um mit dem belgischen Seelsorger Phil Bosmans zu sprechen:
„… Wir können die Wüste nicht auf einmal verändern, aber wir können anfangen mit einer kleinen Oase. Wo eine Blume wieder blühen kann, werden eines Tages tausend Blumen blühen.“